Abschlussbericht von Julianne
Ein ziemlich ungewöhnliches, neues und komisches Semester geht vorüber und hinterlässt nicht wenige Spuren… Es ist mittlerweile Alltag geworden, dass man nur noch aufsteht, sich Frühstück macht und dann den Rest des Tages am PC verbringt. Egal ob Homeoffice oder Uni, alles spielt sich nur noch in den gleichen vier Wänden ab und auch der 84028 Spaziergang ist leider keine große Abwechslung mehr. Das kratzt auf Dauer definitiv an der Motivation bzw. am Antrieb. Doch trotz all der vielen Beschränkungen und Hindernisse, die einem das Ehrenamt nicht gerade erleichtert haben, konnte ich dennoch viel für mich lernen.
Rock Your Life
Meine RYL-Mentee und ich hatten letztes Wochenende unser letztes „Training“. Die Trainings bestehen häufig aus einem Wochenende. Sie werden geleitet von Coach*innen von der Organisation, die dann ein bestimmtes Programm mit uns durchgehen. Das Wochenende wird aufgeteilt in einen gemeinsamen Tag mit Mentor*innen und Mentees und einen Tag nur mit Mentor*innen.
Diesmal waren wir nur vier Mentoring-Paare und haben uns alle online getroffen. Da meine Mentee und ich nicht viele Leute sehen und wir wenig davon hielten, uns nur online zu treffen, kam sie am Samstag zu mir und wir haben das 5h-Training zusammen durchgeführt. Es war die gleiche Coachin wie die letzten Male und deshalb direkt eine bestimmte Vertrautheit da.
Das Training war viel interessanter und lehrreicher als wir es uns beide vorgestellt hatten. Es ging hauptsächlich darum, auf unsere gemeinsame Zeit miteinander zurückzublicken und zu reflektieren, was wir in den letzten 1 ½ Jahren voneinander gelernt haben und ob wir unsere gesetzten Ziele vom Anfang auch umsetzen konnten. Außerdem ging es um die Frage, ob wir die Beziehung noch weiterführen oder ab jetzt getrennte Wege gehen wollen würden.
Gerade für mich war dieser Rückblick nochmal ein Antrieb weiterzumachen. Ich habe mich oft gefragt, ob es wirklich das richtige Ehrenamt für mich sei, da ich nie wirklich viel Veränderung gesehen habe bzw. mich sogar gefragt habe, ob sie meine Hilfe überhaupt benötigt. Doch nochmal von ihr zu hören, wieviel sie von mir in dieser Zeit lernen konnte und auch rückblickend zu sehen, wo wir gestartet haben und wo wir heute sind, hat mir die Wichtigkeit dieser Beziehung auf jeden Fall vor Augen gehalten.
Ich habe gelernt, dass viele Probleme nicht offensichtlich sein müssen und dass der Einfluss auch unterschwellig wirken kann. Durch Dinge, die für einen selbst kaum spürbar sein mögen, wie zum Beispiel das rege Zuhören, Vertrauen und durch Zuverlässigkeit, die man ihr zeigt. Schlussendlich haben wir uns beide dazu entschlossen die Mentoring-Beziehung „weiterzuführen“. Ich setze es in Anführungsstriche, weil es für uns mehr ist als nur ein Projekt oder Ehrenamt. Wir sind richtig gute Freunde geworden – wie eine große und kleine Schwester – und das ist in unseren Augen nichts, was man einfach so beenden kann oder beenden wird. Es wäre einfach nur komisch, jetzt den Kontakt zu beenden und würde sich für uns auch komplett unnatürlich anfühlen, denn unsere Beziehung geht weit über dieses „Projekt“ hinaus.
Auch der letzte Tag nur mit den Mentor*innen und der Coachin war sehr lehrreich. Für mich schien die Organisation immer sehr darauf aus, dass wir Mentor*innen wie eine Art „Retter*innen“ fungieren würden und den Mentees mit unserem vielen Wissen aus jeder Situation helfen könnten. Als seien wir fast „perfekt“ und hätten selber alles top im Griff…
Genau das war schön an dem Treffen am Sonntag: jede*r hat auch ihre*seine Probleme geteilt und es war nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen, denn auch wir „Vorbilder Mentor*innen“ haben Probleme und sind bei Weitem nicht perfekt. Es war einfach schön mal authentischere Seiten zu hören und zu merken, dass man nicht alleine im Boot sitzt. Denn auch wenn wir anderen helfen, heißt das noch lange nicht, dass wir unser Leben komplett durchorganisiert und problemlos im Griff haben. Auch wir konnten viel von unseren Mentees lernen.
Flüchtlingshilfe Harvestehude
Meine Tandempartnerin und ich haben versucht das Beste aus der Situation zu machen und sind, wie wahrscheinlich fast alle Menschen heutzutage, viel spazieren gewesen. Ich habe ihr so gut es ging versucht, im Freien beim Deutschlernen zu helfen oder einfach nur eine gute Zuhörerin zu sein.
Zwar bin ich bereits ehrenamtlich aktiv, doch die Arbeit mit Menschen mit Fluchterfahrung war für mich eine komplett neue und interessante Erfahrung. Deshalb haben mir die fast wöchentlichen Online-Meetings mit den anderen Ehrenamtlichen auch sehr viel gebracht. Einfach nur ihre Geschichten zu hören, mehr über ihre Erfolge/Misserfolge zu erfahren, die verschiedenen Arbeitsgruppen kennenzulernen und diese unglaublich inspirierende Hingabe für ihre Tandempartner*innen waren schon eine große Hilfe.
Wir haben uns gegenseitig viel ermuntert und versucht Lösungsansätze zu finden, wie man die Treffen bzw. das Deutschlernen etc. trotz Kontaktbeschränkungen erleichtern kann. Ich finde es zudem schade, wie sehr das Ehrenamt unter der jetzigen Situation leiden muss. Man stelle sich vor, komplett fremd und neu in einem Land zu sein, die Sprache kaum bis gar nicht zu können und dann mit all dem behördlichen, bürokratischen Kram komplett überrumpelt zu werden. Wer würde da nicht eine helfende Hand benötigen, mit dem nötigen Knowhow?
Genau dafür ist diese Tandembeziehung da und genau deshalb auch immens wichtig. Zum Beispiel gehen die Ehrenamtlichen zusammen mit ihnen zum Amt, bringen ihnen Deutsch bei, gehen auf Wohnungsbesichtigungen, Kochen einfach mal was zusammen und weichen selbst vor Gericht nicht von ihrer Seite. DAS ist für mich Integration. Genau diese Arbeit leisten die Ehrenamtlichen bei uns und das finde ich einerseits zwar sehr lobenswert, andererseits aber auch irgendwo selbstverständlich.
Dazu muss man auch sagen, dass die meisten von ihnen bereits pensioniert sind und daher diese intensive Zeit auch besser aufbringen können. Allerdings finde ich es schön zu sehen, dass sie ihre Zeit wertvoll nutzen, und zwar um Menschen zu helfen, die wirklich dringend (!) Hilfe benötigen. Genau das versuchen die Ehrenamtlichen trotz der vielen Beschränkungen weiter durchzuführen und es gelingt den meisten auch mit einigen Umständen.
Meine Tandempartnerin und ich versuchen momentan einfach nur durchzusetzen, dass sie endlich ihre Ausbildung anfangen kann, und das mit allen möglichen uns rechtlich erlaubten Mitteln. Sie ist mittlerweile einfach sehr frustriert, dass ihr nicht die Möglichkeit gewährleistet wird hier arbeiten zu können und endlich ein neues Leben anzufangen. All das obwohl sie einen Ausbildungsplatz sicher hat…
Ich merke einfach, wie hilflos und nutzlos ich mich fühle, da ich keine Ahnung habe von all dem Rechtlichen, allerdings auch immer wieder Neues dazulerne. Es ist nicht einfach, doch sie hat bereits einen sehr guten Anwalt an ihrer Seite und auch ich bin am Herumtelefonieren und versuche das Wissen und die früheren Erfahrungen der anderen Ehrenamtlichen dafür zu nutzen. Ich weiß, dass ich ihr mit dem rechtlichen Teil wenig weiterhelfen kann, allerdings weiß ich auch, dass jeder eine gute Freundin gebrauchen kann, die mit einem diese harte und nervenaufreibende Zeit durchsteht, und dafür bin ich da.
Ich freue mich jedenfalls, dass ich trotz dieser schwierigen und ungewohnten Zeit eine super Tandempartnerin und Freundin dazugewonnen habe, der ich bereits helfen kann, indem ich einfach für sie da bin und von der ich durch ihren Ehrgeiz ebenso viel für mich im Leben dazulernen konnte. Manchmal muss man einfach das Beste aus der Situation machen, Lösungswege finden und versuchen, den Kopf nicht in den Sand zu stecken. Häufig klappt das nicht alleine, sondern vielmehr durch die Hilfe anderer. Das habe auch ich gemerkt in den Meetings, denn die Probleme gehen durchs Nichtstun leider nicht weg und die Menschen brauchen auch immer noch unsere Hilfe.